Bildbeschrieb Berlin, Ms. lat. fol. 25
(v. l. n. r.)
Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz, Ms. lat. fol. 25, fol. 86 verso.
Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz, Ms. lat. fol. 25, fol. 107 recto.
Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz, Ms. lat. fol. 25, fol. 127 verso.
Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz, Ms. lat. fol. 25, fol. 156 recto.
Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz, Ms. lat. fol. 25, fol. 179 recto.
Pierre Courcelle, La Consolation de Philosophie dans la tradition littéraire
Pierre Courcelle, La Consolation de Philosophie dans la tradition littéraire: Antécédents et postérité de Boèce (Paris: Institut d’Études Augustiniennes, 1967), planches 58, 129, 81, 94, 106. (v. l. n. r.)
Berlin, lat. fol. 25, fol. 86 verso; inédite. / Pierre Courcelle, Planche 58
Berlin, lat. fol. 25, fol. 179 recto; inédite. / Pierre Courcelle, Planche 129
Berlin, lat. fol. 25, fol. 107 recto; inédite. / Pierre Courcelle, Planche 81
Berlin, lat. fol. 25, fol. 127 verso; inédite. / Pierre Courcelle, Planche 94
Berlin, lat. fol. 25, fol. 156 recto; inédite. / Pierre Courcelle, Planche 106
Sammelmappe_Text_Bildprotokoll_5_Consolatio_Courcelle
Literatur zur Handschrift
Valentin Rose, Die Handschriften-Verzeichnisse der Königlichen Bibliothek zu Berlin, Bd. 13 (Verzeichniss der Lateinischen Handschriften) Bd. 2. Abteilung 3 (Berlin: Asher, 1905), S. 1317f.
Rose_Valentin_Handschrift_Berlin_Ms. lat. fol. 25
Friedrich Wilken, Geschichte der Königlichen Bibliothek zu Berlin (Berlin: Duncker und Humblot, 1828),
S. 30:
«Die Sorgfalt und Liebe, mit welcher Friedrich Wilhelm seine Bibliothek pflegt, hatte zur Folge, dass manche Privatpersonen sich beeiferten, seine Gunst durch Geschenke kostbarer und seltener Bücher an die Churfürstliche Bibliothek sich zu erwerben … So wurde der werthvolle, zu Neapel im J. 1477 geschriebene Codex des Sueteonius, welcher noch jetzt eine der grössten Zierden des Königlichen Bibliothek ist, und ein gemaltes Herbarium in sechzehn Foliobänden dem grossen Churfürsten von dem Clevischen Kanzler Daniel Weidmann geschenkt; und auch die treffliche mit nicht unverdienstlichen Gemälden gezierte Handschrift des Martianus Capella und Boethius, welche dem funfzehnten Jahrhundert angehört und eines der schönsten Manuscripte der Königlichen Bibliothek ist, war ebenfalls ehemals Eigenthum des genannten Clevischen Kanzlers.»
S. 224:
«Der Anfang von jedem der vier [muss heissen: fünf] Bücher des Boethius ist mit einem sorgfältig gearbeitetem Gemälde, welches sich auf den Inhalt bezieht im die erste Seite jedes Buchs … mit Randverzierungen ausgemalt … die Abschrift des Boethius [ist] im J. 1485 vollendet.»
Kurz
Datum: Im Jahr 1485 vollendet, das heisst: es gab schon gedruckte Bücher.
Beschrieb: Perg. 195 Blätter, Boethius Consolatio setzt mit einem Index auf fol. 83 ein.
Format: Folio (30×20), XV. Jh. (1483/85).
Irritation: Der Text des Boethius ist von einem Kommentar umgeben. Der Textteil des Boethius ist hervorgehoben, der Kommentar rahmt ihn ein.
Kommentar: Rose, S. 1318: «Dies ist der unter dem falschen Namen des Thomas Aquinas schon seit 1476 oft gedruckte spätmittelalterliche Commentar (Hais 3367ff. vgl. Quetif. S. O. P. I, 343, 562).
Beschrieb des Manuskripts durch Rose: Es enthält erst die für Boethius wichtige Schrift von Martianus Capella zur Ehe des Merkurs und der Philologia, dann kommt der Text des Boethius.
«Sehr gleichmässige grosse (in der Glosse die den grösseren und kleineren Text auf Seiten stets gleichen Schriftraums verteilt umgibt, gelegentlich auch unterbricht, kleinere) Bruchschrift mit blauen und roten Anfangsbuchstaben und Paragraphen, roten Übb. (der Metra und über den Gegenseiten im Boethius der Bücher), gemalten Anfangbuchstaben (Blumen mit Gold: zugleich Leiste des Unterrandes aus Blatt- und Blumenranken mit Gold) zum Martianus und zu den Buchanfängen des Boethius und mit 5 grossen ausgemalten Blattbildern (Darstellungen des Verfassers und der Philosophia in verschiedenen Verhältnissen und Umgebungen vor jedem der fünf Bücher), bez. Nebenbildern zum Boethius (hier im ersten Anfangsbuchstaben f. 188 ein Wappen). Vierbogige Lagen (mit Stichworten und bei B. Lagenzählungen a1-4 usw.) mit alter ursprünglicher Blattzählunge I°. fo., 2°. F0°, usw.) nach ihr fehlen f. 82-83; 85, 89, 90 d.h. leere End- und Vorblätter, die beim Neubinden ausgeschlossen wurden. Textstellen in der Glosse rot unterstrichen. Interpunction durch . un d : oder [siehe Notizbuch 0309 12 IIII]. Anfangsbuchstaben der Sätze gelb angetupft. Zum Tafelbild gemacht ist die Rückseite des ersten Bl. 91-98, dagegen ist das 2. Bild ein ohne Zahl dem Quaternio eingeschaltetes Blatt zwischen 111/12, ebenso das 3. 4. 5. Zwischen 130/31 (vor der neuen Lage), 158/59, 180/81. Die letzten Blätter 01 und 02 sind gezählt 195 und (st. 196) 198. F. 47b/48a zwei rote Kreise ohne Ausführung. Die Handschrift ist (zu Martianus) erwähnt als «corruptissimus et interpolatus» von Eyssenhardt (Lips. 1866) p. XXV
Zur Schrift im Bild in den fünf Bildern der Handschrift Staatsbibliothek Berlin, Ms. Lat. Fol 25
Bild 1 (f. 86v, Courcelle, p. 94)
[Folie Text 1] Gewandung der Philosophia:
Lateinische Buchstaben P und T
und:
Gra. loquit
Dialectica vera docet
Rhetorica verba ministrat
Musica canit
Arithmetica numerat
Geometria ponderat
Astronomia colit astra
[…]
Dazu : «Arithmetic, geometry, astronomy, and music had long been linked together. They were all seen as mathematical subjects. Arithmetic studied multitude (discrete units of quantity) in itself; music studied relative multitude, since its concern was with the arithmetical ratios of harmonics. Geometry studied magnitude (continuous quantity) at rest, and astronomy, in charting the movements of the stars, studied magnitude in motion. Boethius invented the word ‘quadrivium’ (‘four-fold path’; Ar. I, 1, § 7) to capture the relation between the four mathematical subjects – they were to be regarded as ‘paths’ because, in Boethius’s words, they lead ‘from’ the senses… to the more certain things oft he intelligence’; they were steps on the way to the Neoplatonic philosopher’s grasp of the intelligible world». John Marenbon, Boethius, Oxford University Press, Oxford 2003, p. 99.
Schriftbänder
[Folie Text 2] Schriftband der Philosophia
I, pr.1, 27-31: « Quis, inquit, has scaenicas meretriculas ad hunc aegrum permisit accedere, quae dolores eius non modo nullius remediis foverent, verum dulcibus insuper alerent venenis? … [I, pr.1, 38-40 :] Sed abite potius Sirenes usque in exitium dulces, meisque eum Musis curandum sanandumque relinquite. »
« Wer hat diesen Dirnen der Bühne den Zutritt zu diesem Kranken erlaubt, ihnen, die seinen Schmerz nicht nur mit keiner Arznei lindern, sondern ihn obendrein mit süssem Gifte nähren möchten ? … Drum hinweg, ihr Sirenen, die ihr süss seid zum Verderben, überlasst ihn meinen Musen zur Pflege und zur Heilung»
[…]
[Folie Text 3]
Schriftband Muse links
I c.2, 6-8 : « Hic quondam caelo liber aperto
Suetus in aetherios ire meatus
Cernebat rosei lumina solis »
« Einst doch war er gewohnt Räume des Himmels
Zu ätherischem Flug frei zu durchmessen,
Schaute das rosige Licht frühe der Sonne,»
Schriftband Muse mittig
I, c.1, 11-12 : «Intempestivi funduntur vertice cani
Et tremit effeto corpore laxa cutis »
« Von dem Scheitel zu früh ergrauend wallen die Locken,
Schlaff erzittert und welk mir am Leibe die Haut.»
Schriftband Muse rechts
I, c.1, 13-14 : « Mors hominum felix, quae se nec dulcibus annis
Inserit et maestis saepe vocata venit »
« Seliger Tod, der sich nicht drängt in die Freuden der Jugend,
Der dem Trauernden nur, häufig gerufen, erscheint»
[…]
[Folie Text 4] Schriftstücke auf dem Tisch
Gebunden: « mania … [ ?]»
Notat: « Carmina qui quondam studio florente »
[…]
Boethius liegend
Bild 2 (f. 107r, Courcelle, p. 150)
Schriftband am Ende des Zeigefingers im Teilbild links oben:
II, pr.1, 54-56: «Si ventis vela committeres, non quo voluntas peteret, sed quo flatus impellerent, promove[re]res »
« Wenn du die Segel dem Winde überliessest, so würdest du nicht dahin gelangen, wohin dein Wille strebt, sondern wohin sein Hauch dich treibt»
Schriftband am Ende des Zeigefingers und im Teilbild rechts oben.
II, pr.1, 56-59: « … si arvis semina crederes, feraces inter se annos sterilesque pensares. Fortunae te regendum dedisti ; dominae moribus oportet obtemperes. »
« … wenn du den Fluren Samen anvertrautest, so müsstest du ertragreiche und unfruchtbare Jahre gegeneinander abwägen. Du hast dich dem Regiment der Fortuna anvertrau. Nun musst due den Sitten der Herrin gehorchen».
Orgel: kalibriert Luftströme
Medaillon mit Fortuna und Rad: Personen am Rad mit den Schriftbändern regno, regnavi, regnabo. Schriftband am Rand des Medaillons: II pr. 1, 49-51: «Postremo aequo animo toleres oportet, quidquid intra fortunae aream geritur, cum semel iugo eius colla summiseris … [Monogramm Sly oder Lys] »
«Schliesslich must du mit Gleichmut ertragen, was innerhalb des Bereiches des Glückes geschieht, wenn du einmal deinen Nack seinem Joche unterworfen hast».
Schriftband der Philosophia II, pr. I, 19:
«Si penitus aegritudinis tuae causas habitumque cognovi, fortunae prioris affectu desiderioque tabescis … Cuius si naturam, mores ac meritum reminiscare, nec habuisse te in ea pulchrum aliquid nec amisisse cognosces; sed … tempus est haurire te aliquid ac degustare molle atque iucundum … Adsit igitur rhetoricae suadela dulcedinis, quae tum tantum recto calle procedit, cum nostra instituta non deserit, cumque hac musica laris nostri vernacula nun leviores nunc graviores modos succinat»
«Wenn ich nun richtig Ursachen und Charakter deiner Krankheit erkannt habe, so siechst du hin aus Liebe und Sehnsucht nach deinem früheren Glücke … Wenn du dich an seine Natur, Sitten und Verdienste erinnerst, dann wirst du erkennen, dass du an ihm nie etwas Schönes weder gehabt noch verloren hast, aber … es ist Zeit, dass due etwas Mildes und Angenehmes schlürfest und kostest .. .Also möge uns die Überzeugungskraft der süssen Redekunst beistehen, welche nur dann auf rechtem Wege voranschreitet, wenn sie unsere Gebote nicht verlässt und mit der Musik, die an unserem Herde heimisch ist, bald leichtere bald ernstere Weisen anstimmt».
Schriftband der Rhetorica
« ‘Sapiencia sine eloquencia parum prodes. Eloquencia vero sine sapiencia multum obest’ » zitiert nach Courcelle, p. 150, der feststellt : « phrase qui n’es pas tirée de la Consolation.
[Musica ohne Schriftband]
[Boethius ohne Schriftband]
Schriftstücke auf dem Tisch
Notat [nur Linien]
Buch [nur Linien]
Boethius: liegend
Bild 3 (f. 127v Courcelle p. 155)
Medaillon
Das Medaillon illustriert das Gedicht
III, c.1, 1-6: « Qui serere ingenuum volet agrum
Liberat arva prius fructibus,
Falce rubos filicemque resecat,
Ut nova fruge gravis Ceres eat.
Dulcior est apium mage labor,
Si malus ora prius sapor edat. »
Rodet der Landmann das fruchtbare Saatfeld,
Tilget er erstlich das taube Gesträuch aus,
Sichelt den Dornbusch, wuchernde Farren,
Dann erst lohnt Ceres mit üppigen Ähren.
Süsser noch mundet, was Bienen uns schenken,
Spürte den bitteren Geschmack erst die Zunge»
Schriftband I oben am Zeigefinger einer Hand, die im Himmel erscheint
III, c.1, 7-8 : «Lucifer ut tenebras pepulerit,
Pulchra dies roseos agit equos»
«Lucifer muss erst die Finsternis scheuchen,
Ehe der Tag dann das Rosengespann führt.»
Schriftband II zur Figur, die in der rechten Ecke des Medaillons etwas kostet
III, c.1, 11-13 : Tu quoque falsa tuens bona prius
Incipe colla iugo retrahere :
Vera dehinc animum subierint. »
« Du von falschen Gütern geblendet,
Schüttle zuvor vom Nacken das Joch ab,
Dann erst erfüllt die Wahrheit den Geist dir.»
Schriftband I der Philosophia
III, pr.1, 12-14: Talia sunt quippe, quae restandt, ut degustata quidem mordeant, interius autem receptat dulcescant»
« Was übrig bleibt, ist derart, dass es beim Kosten wohl herb, beim Genusse aber süss ist» [Bezüge zu Lukrez; Orgel als Windmodulation]
Schriftband II der Philosophia
III, c.1, 11-13:
«Tu quoque falsa tuens bona prius
Incipe colla iugo retrahere
Vera dehinc animum subierint »
« Du von falschen Gütern geblendet,
Schüttle zuvor vom Nacken das Joch ab,
Dann erst erfüllt die Wahrheit den Geist dir.»
Schriftband des Boethius
III, pr. 1, 3-8 O, inquam, summum lassorum solamen animorum, quam tu me vel sententiarum pondere vel canendi etiam iucunditate refovisti [ !] … [adeo ut iam me posthac imparem fortunae ictibus esse non arbitrer. Itaque] remedia, quae paulo acriora esse dicebas, non modo non perhorresco, sed audiendi avidus vehementer efflagito »
« O du höchste Trost ermatteter Gemüter, wie hast du mich mit der Wucht der Gedanken, aber auch der Holdseligkeit des Gesanges erquickt [, so sehr, dass ich mich von jetzt an den Schlägen des Schiksals gewachsen fühle.] Darum bebe ich jetzt nicht mehr zurück vor jenen Heilmitteln, die du als etwas schärfer bezeichnetest, sondern fordere sie hörbegierig mit Heftigkeit».
Schrift im Notat: III, pr. 1, 3-8: «remedia, quae paulo acriora esse»
Schrift im Buch: III, pr. 1, 1-2: «Iam cantum illa finiverat, cum me audiendi avidum stupentemque … »
« Schon hatte sie ihren Gesang beendet, während ich noch immer hörbegierig und in Staunen versunken …» [, das lauschende Ohre ihr zugewandt, vom süssen Zauber des Liedes gefesselt war. ]
Boethius sitzt nun aufrecht, ohne Kissen, seine linke Hand berührt ein Buch
Bild 4 (f. 156r, Courcelle, p. 188f)
Szene in der oberen Bildhälfte
Inschrift:
IV, c.1, 19-22: «Hic regum sceptrum dominus tenet
Orbisque habenas temperat
Et volucrem currum stabilis regit
Rerum coruscus arbiter.»
« Hier trägt das Zepter der Könige Herrscher
Und hält den Weltenkreis im Zaum,
Reglos lenkt den geflügelten Wagen
Der funkelnde Regent der Welt».
Schriftband oberhalb der Gruppe Auserwählter
IV, c. 1, 25-26: «Haec [, dices] memini, patria est mihi,
Hinc ortus, hic sistam gradum »
Sprichst dann ; Wieder erkenn ich die Heimat,
Hier stamm ich her, hier steh mein Fuss».
Schriftband der Philosophia IV, pr. 1, 20-23: «[Et] esset, inquit, infiniti stuporis omnibusque horribilis monstris, si, uti tu aestimas, in tanti velut patrisfamilias dispostitissima domo vilia vasa colerentur, pretiosa sordescerent.»
« Ja, es wäre Anlass zu unbegrenztem Erstaunen, es wäre schauderhafter als alle Ungeheuer, wenn, wie du meinst, im wohlgeordnetem Haushalt des vollkommenesten Hausherrn gewissermassen die billigen Gefässe gepflegt, die kostbaren beschmutzt würden.»
Schriftband des Boethius IV, pr. 4, 4-10: «O, inquam, veri praevia luminis, quae usque adhuc tua fudit oratio, cum sui speculatione divina tum tuis rationibus invicta patuerunt, eaque mihi, etsi ob iniuriae dolorem nuper oblita, non tamen antehac prorsus ignorata dixisti. Sed ea ipsa est vel maxima nostri causa maeroris, quod, cum rerum bonus rector existat, vel esse omnino mala possint vel impunita praetereant;»
«Oh, rief ich, du Geleiterin zum wahren Lichte, alles, was deine Rede bisher ausströmte, hat sich mir sowohl durch seine Betrachtung als göttlich wie auch durch deine Gründe als unbesiegbar erwiesen; und wenn ich es auch kürzlich aus Schmerz über das Unrecht vergessen hatte, so hast du mir doch keineswegs Dinge gesagt, die mir früher gänzlich unbekannt gewesen wären. Aber dies eben ist die höchste Ursache unseres Kummers, dass , währen doch ein guter Lenker der Welt existiert, das Böse überhaupt sein kann und bestraft hingeht.»
Schriftstücke auf dem Tisch: Buch «…dignitate»
Notat «… cum philosophia»
Handelt es sich um Thematisierung von Schriftlichkeit? Der Differenzen zwischen den Heilmitteln, Heilmittel der theatralischen Musen und Unterschied zu den Heilmitteln der Musen der Philosophie; Inszenierung von Zögern zwischen Notat und Reinschrift, in diesem Konflikt befindlich der Dialog zwischen Philosophie und Boethius, den der Miniaturist darstellt, inszeniert zögere ich zu sagen: Zur Austragung gelangen lässt oder zur Darstellung gelangen lässt:
Boethius sitzt, seine linke Hand berührt das Schriftband, seine rechte berührt das Buch.
Bild 5 (f. 179 r, Courcelle p. 236)
Schriftband oberhalb der oberen rechten Bildecke [Im Bild ein Zeigefinger, ausserhalb des Bildrahmens das Schriftband]: Le phylactere qui cerne le coin superieur droit explique :
V, c.1, 12 «Fors patitur frenos ipsaque lege meat»
« Trägt geduldig den Zaum nach seinem eignen Gesetz ».
Philosophia und Boethius konversieren mittels Spruchbändern
Schriftband des Boethius: superieure de la cellule ou Boece et Philosophie conversent au rnoyen de phylacteres, de part et d’autre d’une table ronde. Boece dit: V, pr.1, 3-7 «Recta quidem, inquam, exhortatio tuaque prosus auctoritate dignissima, sed quod tu dudum de providentia quaestionem pluribus aliis implicitam esse dixisti, re experior. Quaero enim aliquid omnino et quidnam esse casum arbitrere. »
«Richtig ist deine Mahnung und durchaus deiner Autorität würdig; was du aber vor kurzem über die Frage der Vorsehung gesagt hast, dass sie mit sehr vielen anderen verflochten sei, das merke ich in der Tat. Ich muss nämlich jetzt fragen, ob irgend etwas überhaupt sein könne, was wir Zufall nennen, und was es denn sei».
Schriftband der Philosophia (Courcelle: «avec une coupure» [Courcelle weist auch mit sic! auf Textstellen hin]): « Si aliquis euenturn ternerario motu nullaque causarurn connextione (sic!) producturn casurn esse diffiniat (sie!), nichil omnino casum esse confirmo. Quis enim cohercente in ordinern cuncta Deo locus esse ullus terneritati reliquus potest? » .
In meiner Ausgabe lautet der Passus
V, pr.1, 17-24: «Si [quidem inquit] aliquis eventum temerario motu nullaque causarum conexione productum casum esse definiat, nihil omnino casum esse confirmo et praeter subiectae rei significationem inanem prorsus vocem esse decerno. Quis enim coercente in ordinem cuncta deo locus esse ullus temeritati reliquus potest ? »
« Wenn jemand den Zufall so bestimmen wollte, dass er ein Ereignis sei, das durch willkürliche Bewegung und nicht durch irgendeine Verknüpfung von Ursachen hervorgebracht werde, so behaupte ich, dass es überhaupt keinen Zufall gibt, und erkläre, dass dies überhaupt keine zugrunde liegende Sache bezeichne, sondern ein leeres Wort sei. Denn wo kann, wenn das All der Ordnung gemäss von Gott umschlossen ist, irgendein Ort für die Willkür übrigbleiben?»
Schriftstücke auf dem Tisch
Buch: V, pr.1, 1: «Dixerat orationisque»
« So hatte sie gesprochen »
Notat: V, pr. 1, 1: «Dixerat orationisque»
« So hatte sie gesprochen »
Die Pupille im goldig schimmernden Weiss, golden der Schatz und golden das Rund des Halbkreises, in dem ein der Fund eines Schatzes dargestellt wird. Golden auch das Gewand.
Lys lässt im Schriftband des Boethius das «inquam», im Schriftband der Philosophia fehlt hingegen das «inquit».
Boethius sitzt, er hat beide Hände erhoben. Der Zeigefinger seiner linken Hand weist in die Höhe, mit dem Zepter der Philosophia bilder sein Finger Schenkel eines gleichseitigen Dreiecks.
Anregungen aus C. Kiening, Fülle und Mangel – Medialität im Mittelalter für die Betrachtung, Analyse der Berliner Handschrift :
– Findet eine Dramatisierung statt? Etwa ein Konflikt, sind die Fingergesten Zeichen für einen Kampf?
– Wie wird Schrift im Bild eingesetzt: Dominiert sie die Betrachtung? Wie ist das Verhältnis von Schrift und Personen, der Gewandung der Personen und deren Körpern, auch der Haut, der Augen im Bild organisiert?
– Wirkt die Schrift lebendig? Wie wird das erreicht? Wirken die Figuren deshalb weniger lebendig?
– Wer handelt im Bild? Was sind die Handlungen, die im Bild gezeigt werden und wie?
– Wie wird Wechselrede organisiert und damit Zeit, die ein Gespräch, ein Dialog beansprucht?
Weitere Literatur:
– Literarische Schöpfung im Mittelalter (Göttingen: [?], 2015)
– M. Stercken (Hg.), Schrifträume – Dimensionen von Schrift zwischen Mittelalter und Moderne (Zürich: Chronos [?] 2008)
Zur Handhabe der Berliner Handschrift [NR]: